Vortrag und Diskussion 2013

Die Zeiten staatlicher Rassengesetze sind in den Zentren des Kapitalismus vorbei. Der Rassismus ist darüber keineswegs ausgestorben. Es ist in einer Demokratie an der Tagesordnung, dass Obdachlose, Farbige oder Asylanten erschlagen werden. Wenn solche Fälle wieder einmal Schlagzeilen machen, dann kommt in der Öffentlichkeit Empörung und Fassungslosigkeit auf. Wie kann es in der demokratischen Mitte der Gesellschaft so etwas Abscheuliches geben? Diese Frage sucht gar nicht nach einer Erklärung dafür, wie und warum rassistische Urteile in der Demokratie zustande kommen. Sie geht einfach davon aus, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun haben kann.
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Das ist ein Fehler. Die rechtsstaaliche Ordnung, in der alle einer „Gleichbehandlung“ unterliegen, ist der Grund für den modernen Rassismus unserer Tage.

  • Auch ganz ohne Rassengesetze, eine Selektion ist unübersehbar. Bildungswesen und Erwerbswelt produzieren immer aufs Neue „Ungebildete“ und „Gebildete“, „Arme“ und „Reiche“, eine „Masse“ und eine „Elite“. Wie kann die so geschätzte „Gleichbehandlung“ zu einer Sortierung der Menschen in eine Hierarchie führen, in der es sich oben vielleicht ganz gut, unten sicher schlecht lebt?
  • Unterschiedliche Anlagen in der Menschennatur sollen es sein, die sich in der Hierarchie bloß abbilden. Nur ist die Zulassung zu einem Bildungsweg wie die Verweigerung, die Einstellung in ein Arbeitsverhältnis wie dessen Kündigung in jedem Fall ein Rechtsakt, also ein durch eine hoheitliche Instanz gültig gemachter Bescheid, meistens gegen den Willen der Betroffenen. Wieso braucht es eigentlich eine staatliche Gewalt, wenn Bildungswesen wie Erwerbswelt bloß der Nachvollzug einer ohnehin vorliegenden menschlichen Natur sind?

Konkurrenz als natürliche Auslese, das ist der Rassismus in seiner ersten Spielart, der in der Demokratie blüht. Für die kapitalistischen Nutznießer, die sich am Ausstoß der Bildungseinrichtungen bedienen, und für den staatlichen Standortverwalter, der damit Wachstum und Haushalt fördert, ist er wertvoll: Er veredelt die ökonomische Benutzung des Menschenmaterials zum Dienst an dessen Natur und will damit jeden Einspruch entwaffnen. Natur kann man nicht kritisieren.
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Die „Humanressource“, die sich der Staat so zurecht macht, ist sein Volk. Was aufrechte Demokraten darüber in Umlauf setzen, bringt einen Rassismus zweiter Art hervor:

  • „Wir“ gehören zusammen, „Fremde“ also nicht dazu. Was verbindet Leute zu einem „Wir“, die einander genauso unbekannt, also fremd sind, wie ihnen ein Zugereister fremd sein mag? „Wir“ gehören zusammen, „Fremde“ also nicht dazu. Was verbindet Leute zu einem „Wir“, die einander genauso unbekannt, also fremd sind, wie ihnen ein Zugereister fremd sein mag?
  • Gemeinsame „Sprache“, „Geschichte“ oder das „Schicksal“ gelten als einigendes Band und vorstaatliche Eigenschaft des Volkes, die erst im Staat verwirklicht wird. Gegensätzliche Interessen zwischen Billiglöhnern und Konzernherrn zählen nichts vor diesem Maßstab, der aus Leuten eine quasi-natürliche Art macht, die von anderen Arten geschieden ist. Warum wird das Bekenntnis zu einer Volkszugehörigkeit ausgerechnet jenseits des Willens in einer Natureigenschaft angesiedelt?

Das ist der Rassismus der Volksnatur. Dieses Bekenntnis zur natürlichen Einheit im Volk und zwischen Volk und Staat, so etwas schätzt die Herrschaft. Es bezeugt statt bloßer Parteinahme eine Parteilichkeit als zweiter Natur. So ein Volk geht mit seinem Staat durch Dick und Dünn.
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Dieser Rassismus gibt Orientierung. Wirtschaft und Staat verkörpern eine durch die Natur des Menschen und die spezielle Art des Volkes vorgezeichnete Harmonie. Was diese nach dem Dafürhalten derer mit dem rassistischen Blick auf die Welt stört, geht auf das Konto schädlicher, fremder Natur. „Unnütze Parasiten“ im eigenen Volk oder „Fremde“, die „unsere Arbeitsplätze“ stehlen, werden das Opfer dieser Gesinnung. Die Antirassisten unserer Tage nehmen daran zurecht Anstoß. Wie sie das tun, ist verkehrt. Sie wollen die „Gleichberechtigung gegen jede Diskriminierung“ nach Hautfarbe oder Ethnie verteidigen. Als müssten sie das! Diese Diskriminierung ist im Rechtstaat verboten. Die erlaubte, deswegen auch nicht so genannte Diskriminierung unter dem rechtsstaatlichen Regime der Gleichbehandlung, halten sie hoch. Der dickste Bock wird zum Gärtner, die Quelle des modernen Rassismus zur verteidigenswerten Bastion. Das ist nicht in Ordnung.

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