Vortrag und Diskussion 2011

Politik und Medien belehren ihr Publikum gern darüber, dass nur eine Demokratie das Leben lebenswert macht. Undemokratische Verhältnisse, die sie in Venezuela oder Weißrussland entdecken, sind ihnen immer wieder einen Aufruf zum Umsturz wert, den sie mit ihren „orangenen Revolutionen“ auch von außen anleiten und befördern. Ganz anders liegen die Dinge in den arabischen Diktaturen. Sie waren westlichen Staaten bislang nicht nur nützlich, sie waren sogar Geschöpfe der USA und der EU. Typen wie Mubarak in Ägypten oder Ben Ali in Tunesien wurden finanziell und militärisch ausgerüstet, um die Herrschaft über den Nahen Osten und die Dominanz des Hauptverbündeten Israel gegen jeden Einspruch islamischer Staaten zu sichern. Scheinwahlen und Terror gegen jede innere Opposition gehörten zum Tagesgeschäft dieser Regime und waren den westlichen Auftraggebern jede Menge Dollars und Militärhilfe wert.

Der Aufstand der Massen in diesen Staaten gegen Armut und Unterdrückung hat deswegen in den westlichen Hauptstädten anfänglich nicht Begeisterung, sondern Sorgen ausgelöst. Und es brauchte einige Wochen, bis Obama, Merkel und Sarkozy klar war, dass ihre arabischen Regimes dem Druck der Straße wohl nicht standhalten würden. Seitdem gehen sie auf Distanz zu ihren Kreaturen, weil sie ihr Volk nicht mehr im Griff haben, und beglückwünschen den Protest bei seinem Durchmarsch zu einer neuen Demokratie. Wie die dann aussieht und was sie leisten muss, wird gleich dazu gesagt: Nicht ein besseres Leben für die Leute, sondern ein „geregelter Übergang“ zu „stabilen Verhältnissen“ ist verlangt – der Despot muss weg, aber die fürs Ausland nützlichen Leistungen seines Staatswesens müssen bleiben. Ein Volk, das dazu Ja sagt, hat „unsere“ Freundschaft dann verdient.

Ob das die Aufständischen wirklich meinen, wenn sie „Demokratie“ sagen und gegen „Armut“, „Korruption“ und „Unterdrückung“ im Land zu Felde ziehen? Arbeitslose Akademiker, Kleinhändler ohne Geschäftsperpektive und verarmte Arbeiter und Bauern führen immerhin Klage über die miserablen materiellen Lebensumstände, die das Regime ihnen aufnötigt. Dass sie sich die Besserung ihrer Lage allerdings von einem Wechsel weg von einer „Autokratie“ hin zu einer Demokratie versprechen, gehört zu den Täuschungen einer Bewegung, deren fundamentale Absage an „korrupte Herrschaft“ eine radikale Zusage an saubere Herrschaft ist.

Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Lesetipp